Wer ist Erwin Baur? Teil 1: Erwin Baur als Genetiker und Pflanzenzüchter

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von Jürgen Hofemeister, Gudrun Mönke und Ingo Schubert

In der MZ vom 1./2. August 2020 wurde der Erwin-Baur-Platz unter der Überschrift „Minderwertige Mutanten“ mit dem Zusatz „Platz in Gatersleben ist nach Pionier der Züchtungsforschung benannt. Erwin Baur war aber auch Verfechter von Zwangssterilisationen“, kritisiert und als Problem thematisiert. Die Autoren sprechen von „historischer Schuld“ Baurs und empfehlen die Umbenennung oder einem Erklärtext als Zusatz zum Straßenschild, der auch auf diese Seite der Persönlichkeit Erwin Baurs hinweist. Zur Vorbereitung der Entscheidung, haben wir zwei Beiträge erstellt, die sich auf einschlägige Biografien und Gutachten stützen.

Teil 1 Erwin Baur als Genetiker und Pflanzenzüchter

Erwin Baur wird 1875 im badischen Ichenheim als Sohn eines botanisch und landwirtschaftlich interessierten Apothekers geboren. Er studiert Medizin und ist mit 25 Jahren Arzt in Kiel, leistet seinen Militärdienst 1901/02 bei der Marine und arbeitet dann als Arzt in psychiatrischen Einrichtungen in Kiel und Emmendingen. Hier gewinnt er Einblick in erbliche Erkrankungen, Diagnose und Behandlung. Im Oktober 1903 wechselte er seinen Neigungen entsprechend den „Beruf“ und wird Assistent am Botanischen Institut der Universität Berlin und bringt, wie es heißt „Leben in den Betrieb“. Körperlich und geistig unermüdlich, eröffnet er mit seinen Arbeiten den Einstieg in neue Arbeitsgebiete der Botanik und hält ab 1907 erste genetische Vorlesungen, schreibt zwei Lehrbücher, darunter das erste Lehrbuch für Genetik, begründet als junger Herausgeber erste genetische Zeitschriften und erlangt öffentliche Aufmerksamkeit.

Sein Interesse an der experimentellen Genetik und der Züchtung mittels Kreuzung und Mutation veranlasst ihn 1911 zum Wechsel auf den Lehrstuhl für Botanik an der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Hier erhält Baur 1914 den ersten Lehrstuhl für Genetik an einer deutschen Hochschule überhaupt und wird zum Leiter eines ersten Instituts für Vererbungslehre vorgeschlagen. Der Ausbruch des Krieges verzögert den Bau des Instituts. Er ist zunächst im Reichsmarineamt als Arzt im Verwaltungsdienst tätig und versucht danach erfolgslos auf eigene Initiative seine Züchtungsversuche weiterzuführen. Er selbst stellt fest, es waren verlorene Jahre. Gemeinsam mit Carl Correns und Richard Goldschmidt gründet er 1921 die Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft und wird 1922 Mitglied der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (der Vorgängerorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft). Als Frucht seiner Bemühungen, erhält er 1922 endlich die Unterstützung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für den bereits 1914 zugesagten Bau des Instituts für Vererbungslehre in Berlin-Dahlem.

Erwin Baur ist mittlerweile als Genetiker und Züchtungsforscher international anerkannt und kann als Organisator und Präsident 1927 den V. Internationalen Genetiker-Kongress nach Deutschland holen. Um die Forschungsmöglichkeiten auszuweiten, stellt Baur gemeinsam mit Ferdinand von Lochow jetzt den Antrag auf ein „Institut für Züchtungsforschung“, den die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1927 bewilligt. Mit Gründung des Instituts will Baur die Züchtungsforschung in Deutschland nicht allein privaten Unternehmen überlassen, sondern den Staat auf der Grundlage ertragreiche Pflanzensorten in die Lage versetzen autark, die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Am 29. September 1928 kann Baur „sein Institut“, das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung“ in Müncheberg als Direktor eröffnen. Damit hat er sein Ziel erreicht. Erste Züchtungen von Getreidesorten, bitterstofffreien Futterlupinen, Beerenobst und einer pilzresistenten Rebsorte begründen seinen Ruf als Züchter. Damit hat Baur die Entwicklung der modernen Pflanzenzüchtungs- und Mutationsforschung in Deutschland begründet. Baurs Schüler Hans Stubbe schreibt 1959, „Niemand kann heute mehr ermessen, mit welchem Übermaß an Kraft das Werk zustande kam, das in den wenigen Jahren bis zu seinem Tode schon in voller Blüte stand“.

Ab 1933 ergeben sich Probleme bei der Finanzierung des Instituts. Das führt zu zermürbenden Auseinandersetzungen mit dem NS-Reichslandwirtschaftsminister R. W. Darré. Der will auf finanzielle Forderungen Baurs nicht eingehen, aber Einfluss auf die Forschung des Müncheberger Institut gewinnen. Die Konflikte erreichen am 29.11.1933 einen Höhepunkt, als ein vom Ministerium beauftragtes Kuratorium zur Begutachtung von Baur‘s Institut in Müncheberg eintrifft. Baur ist erschüttert und gekränkt. Am 1.12.1933 weilt Baur in Berlin, um am Folgetag an einer Trauerfeier für seinen Kollegen und Freund Carl Correns teilzunehmen. In der Nacht erleidet er einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er am 2.12.1933 verstirbt.

Eine posthume Ehrung erfährt Erwin Baur 1938, als sein Institut in Müncheberg den Namenszusatz „Erwin-Baur-Institut“ erhält. Im Februar 1945 wird der größte Teil des Instituts kriegsbedingt nach Köln-Vogelsang umgesiedelt, und ist heute als Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung weltweit bekannt. Der in Müncheberg verbliebende Teil wird hier am 1.10.1945 als Zentralforschungsanstalt für Pflanzenzucht (Erwin-Baur-Institut) wiedereröffnet und erhält 1997 den Namen Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V.

Im folgenden Beitrag „Wer ist Erwin Baur“ wollen wir das aus heutiger Sicht problematische Wirken Baurs als Eugeniker und Rassenhygieniker untersuchen.

Inschrift „Erwin- Baur-Institut“ in Müncheberg