von Gudrun Mönke
Diese kleine und kurze Straße bietet Zugang von der Corrensstraße zu vier Wohnhäusern, die nach 1953 unmittelbar am Rande des Instituts erbaut wurden. So kurz wie er auch ist, trägt er den Namen des wohl bedeutendsten Denkers im europäischen Raum: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1714) war ein universaler Gelehrter, Mathematiker, Philosoph, Jurist, technischer Erfinder und politischer Berater, immer im Bestreben nützlich zu sein. Sein ganzes Leben lang erforschte er die ihn umgebende Welt, suchte nach Gesetzen, die der Natur, der Gesellschaft, dem Verhältnis des Menschen zu Gott zugrunde liegen. Seine Kernüberzeugung war die Einheit der Welt in allen ihren Erscheinungsformen als die beste aller möglichen Welten. Doch heute ist der nach ihm benannte Keks allgemein bekannter als der Gelehrte, der seine unzähligen Erkenntnisse und Ideen, seine Philosophie, nicht gesammelt und gedruckt, sondern nur in mehr als 20 000 Briefen, Notizen und Manuskripten hinterlassen hat.
Hier kann nur ein sehr begrenzter Einblick in das Leben und vielseitige Schaffen von Leibniz gegeben werden.
Zwei Jahre vor Ende des Dreißigjährigen Krieges wird Leibniz 1646 als Sohn eines Moralphilosophen in Leipzig geboren. Schon als Kind erlernt er selbständig die lateinische und griechische Sprache und beschäftigt sich als 13-jähriger mit der Logik. In Leipzig und Jena studiert er Philosophie, was damals immerhin auch alle Naturwissenschaften beinhaltete, anschließend noch Rechtswissenschaften und promoviert mit 21 Jahren in Altdorf bei Nürnberg. Die universitäre Laufbahn ist ihm zu eng. Sein enzyklopädischer Geist sucht Schaffensfreiräume. Die bietet ihm zunächst der Erzbischof und Kurfürst von Mainz als Dienstherr, der ihn 1672 als Diplomat nach Paris, dem damaligen geistigen Zentrum Europas, reisen lässt. In Paris vervollständigt Leibniz sein Wissen auf vielen Gebieten, speziell in der Mathematik. Hier entwickelt er die erste Rechenmaschine für alle vier Grundrechenarten. Dabei erkennt er die Vorteile des Rechnens mit dualen Zahlen, z. B. 0 und 1, aber die Anwendung des dualen Rechnens war damals technisch noch nicht möglich. Heute arbeiten die Computer auf dieser Grundlage. In London stellt er die Rechenmaschine vor und wird zum Mitglied der Royal Society ernannt. Zur Berechnung von krummen Linien entwickelt er die Infinitesimalrechnung (Differentialrechnung) etwa gleichzeitig mit Isaac Newton, was bezüglich der Urheberschaft zu einem erbitterten und jahrelangen Streit führt. Heute geht man davon aus, dass beide unabhängig voneinander diese Rechenart entwickelt haben. Ab 1676 wird Leibniz Hofrat und Bibliothekar am Welfenhof in Hannover. Als Rechtsberater verhilft er Ernst August zur Kurfürstenwürde. Als Erfinder entwickelt er für Bergwerke im Oberharz besondere Windmühlen zur Entwässerung und u.a. das Prinzip der Endloskette zur Erzförderung. Er entwirft Gewehre mit höherer Schusszahl, Verteidigungsanlagen, empfiehlt Zwieback als haltbare Nahrung für Soldaten, setzt eine Feuerversicherung durch, die vor allem für Bauern sehr nützlich war, berät zu Münzfragen, setzt sich für die Einheit der Kirchen ein und vieles andere mehr. Im Auftrag, die Geschichte der Welfen zu schreiben, bereist er zwischen 1687 und 1690 Süddeutschland, Österreich und Italien und knüpft dabei vielfältige Kontakte. In Wien berät er Kaiser Leopold I. in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen. In Rom erhält er vom Papst das Angebot Kustos der vatikanischen Bibliothek zu werden, was er ablehnt. Zur Unzufriedenheit seiner Dienstherren wird er die Geschichte der Welfen nur bis zum Jahre 1008 erforschen. Für die Geschichtsforschung setzt Leibniz aber mit genauestem Studium der Quellen neue Maßstäbe. Mit dem Anliegen Wissenschaft und Praxis enger zu verbinden, bemüht er sich um die Gründung von Akademien. Mit Unterstützung von Sophie Charlotte, seiner Vertrauten aus dem Welfenhaus, gelingt es Leibniz den preußischen König im Jahre 1700 zur Gründung der preußischen Akademie der Wissenschaften zu bewegen. Die Akademie trägt heute den Namen Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Leibniz war ihr erster Präsident. Auch den sächsischen Hof, Zar Peter I. sowie Kaiser Leopold I. in Wien versucht er zur Gründung von Akademien anzuregen. Von 1712 bis 1714 berät er als Reichshofrat den Kaiser in Wien. 1714 kehrt er schließlich nach Hannover zurück und schreibt seine „Monadologie“, den Versuch, das Wesen der Welt als Gebäude von Monaden, von singulären immateriellen kleinsten Einheiten, zu erklären. Vereinsamt und von der Gicht geplagt, verstirbt Leibniz am 14. November 1716 in Hannover. Seine letzten Lebensjahre waren durch den Streit bezüglich der Urheberschaft mit Newton (s.o.) überschattet. Rastlos hat er sein Leben der Wissenschaft, der Praxis und der Politik gewidmet. Heute gehören über 15.000 Briefe der Gottfried-Wilhelm-Leibniz- Bibliothek in Hannover zum „Weltdokumentenerbe“ der UNESCO. Hier in Gatersleben tragen der Leibnizweg und das Leibniz-Institut (IPK) als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft seit 1997 seinen Namen. Der jährlich verliehene Leibniz-Preis, ist seit 1986 der wichtigste Forschungsförderungspreis in Deutschland. Leibniz Grundüberzeugung, dass alles mit allem zusammenhängt, ist heute gültiger denn je.